Die Oberuferer Weihnachtsspiele sind an den Waldorfschulen ein fester Bestandteil der weihnachtlichen Festgestaltung. Sie stammen aus den deutschen Sprachinseln im damaligen Österreich-Ungarn.
Karl Julius Schröer fand diese letzten Zeugnisse alter Weihnachtlichsbräuche in einem Dorf in der Nähe des heutigen Bratislava, sammelte und veröffentlichte sie, so dass sie in der heutigen Form
auf uns gekommen sind.
Die Weihnachtsspiele beginnen mit den Paradeis-Spiel, da nach altem Brauch an Heilig Abend auch der Vertreibung aus dem Paradies gedacht wurde. Nachdem der „alte Adam“ sündig geworden war,
kam mit dem Christuskind der „neue Adam“ auf die Erde und entzündet ein neues geistiges Licht.
Das Christgeburtspiel bringt uns die Geschehnisse rund um Weihnachten nach Lukas mit der Verkündigung durch den Erzengel Gabriel, der Offenbarung und der Geburt des Jesuskindes vor Augen.
Die Oberuferer Weihnachtsspiele sind in donauschwäbischer Mundart verfasst und werden von der Cumpanei in eben dieser gespielt. Bereits die Lehrer der ersten Waldorfschule führten die
Weihnachtsspiele auf Anregung Rudolf Steiners für ihre Schüler auf.
Die Spiele werden nicht nur aus Tradition Jahr für Jahr aufgeführt, sondern sie lassen auch Urbilder zu den Seelen der Erwachsenen und Kinder sprechen. Diese Urbilder sprechen im Äußeren etwas
an, was eigentlich ein Vorgang im Innern des Menschen ist.
Das Paradeis-Spiel ist von einer Polarität geprägt: Nach dem der Mensch vom Baum der Erkenntnis aß, weiß er Gut von Böse zu scheiden. Und auch in der Schöpfungsszene wird deutlich, wie die Erde
durch Gott immer weiter differenziert wird, Licht wird vom Dunkel, Land vom Wasser getrennt. Und immer wieder stellt Gott fest, dass es „gut war“. Selbst der Mensch, der erst nur als Mann-Frau in
das Paradies gesetzt wird, wird weiter differenziert. Es werden Adam und Eva geschaffen. Mit dem Erwachen des Bewusstseins und der Urteilsfähigkeit endet die Kindheit und das Paradies geht
verloren.
Das Christgeburtspiel wiederum ist von der Dreiheit geprägt, denn das, was im Paradeis-Spiel entzweit wurde, wird durch die Geburt des Jesuskindes wieder durch etwas Drittes in der Mitte vereint.
Sinnbildlich steht hier der Stern, der aus zwei Dreiecken gebildet wird. Beide Dreiecke, eines nach unten und eines nach oben zeigend, können zum Beispiel für das Weibliche und Männliche, den
Himmel und die Erde stehen. Beides wirkt gemeinsam, wirkt inneinander. Das Pentagramm wiederum für den Menschen steht, der in Harmonie alle Polaritäten ausgleicht.
Diese und viele weitere Urbilder sprechen zu uns, wenn wir uns die Spiele ansehen. Daher sind sie mehr als nur eine Tradition, die auch an unserer Schule lebt. (tc)
Zur Entstehung der Weihnachtsspiele:
Rudolf Steiner: Wege und Ziele des geistigen Menschen, 22.12.1910. GA 125